„Also was ist nun mit Wolfgang und Rudi?“
„Die halten sich bei Klassentreffen immer diskret zurück.“
„War´n die denn zum fünfzigsten da?“
„Weiß ich auch nicht genau.“
„Echt nicht?“
„Da muss ich erst nachschau´n“
„Und wo bitteschön?“
„Natürlich auf meinem Handy!“
„Dein Handy weiß mehr als du?“
„Na klar, das ist doch alles drauf, was ich zum Denken brauch´.“
„Und war´n die nun da oder nicht?“
„Guck´ doch selbst auf dein Handy“
„Aber ich hab´ doch gar kein Handy“
„Ewig gestriger Trottel.“
„Also was jetzt nu?“
„Die war´n da, sagt mir jedenfalls mein Handy.“
„Im digitalen Nichts verschollen?“
„Wenn ja, nicht finden heißt: nicht existieren.“
„Stimmt, das Datenvolumen im Internet wächst ja immer rasanter“.
„So wie die Staatsbibliotheken alle Büchern sammeln, archiviert auch eine 1996 gegründete Non-Profit-Organisation, das Internet Archive, alte Websites dieser digitalen Bibliothek: Universaler Zugang zum Wissen. Homepages, zum Teil auch weiterführende Links, werden mit Screenshots aufgesammelt.“
„Internet Archive sind vielleicht dann das Google historischer Homepages.“
„Und sind quasi eine Zeitreise in die Geschichte des Internets.“
„Also auch zu Rudi und Wolfgang?“
„Wär´ doch möglich. Die durchschnittliche Halbwertzeit einer Website beträgt angeblich gerade einmal hundert Tage.“
„Obwohl wir meinen, das Netz vergesse nie. D.h., was einmal im Netz landet, hätte Bestand und wäre für die Ewigkeit eingemeißelt?“
„Na ja, tatsächlich werden Websites aber haufenweise gelöscht.“
„Stimmt, wen interessiert schon das Geschwätz von gestern“.
„Auch im Internet ist eben auch so manches vergänglich. Die Meldung „page not found“ gehört zum Alltag.“
„Obwohl Informationen irgendwo in den Tiefen doch noch lagern können.“
„Man kann sie eben nur nicht einsehen, da nicht mehr mit dem originären Link verknüpft“.
„Die sichtbare Seite wurde eben überschrieben.“
„Was aber bedeutet: alte Daten durch das Speichern neuer Daten zu zerstören.“
„Damit geht auch Wissen verloren?“
„Ist eben so, mit der digitalen Expansion des Internet kann so oder so kaum noch einer mithalten.“
„So werden bei Internet Archive also eine Milliarde Seiten pro Woche gesammelt?“
„Ist doch gut, manche Experten verlangen deshalb, elektronisch gespeicherte Informationen mit einem Verfalldatum zu versehen.“
„Ein Problem: das Recht auf Vergessen beschneidet das Recht auf Information.“
„Sicher, es geht um die Frage, wer die Geschichte des Internets schreibt.“.
„Das Internet Archive kämpft gegen das Vergessen an. Alles, was dabei zutage gefördert wird, ist nicht durch Google-Algorithmen vorgefiltert.“
„Also im Ergebnis nicht verzerrt?“
„Nee, das Netz wird sozusagen in seiner Wirklichkeit abgebildet.“
„Vielleicht findet man ja auf diesem Weg auch wieder einmal etwas über Rudi oder Wolfgang.“
„Wäre doch schön.“
https://www.bod.de/buchshop/marktstubengespraeche-joerg-becker-9783753426143